Rettungsbericht Ereignis vom 23. September 1962 Position 54.05 Nord / 30.30 West Diesen Bericht schreibe ich heute, über 40 Jahre nach dem Unfall im Nordatlantik. vieles war vergessen und verloren, bis Markus Janka dieses Thema wieder in Erinnerung rief. Er, der Tagebuch führte und einige Belege in Verwahrung hat, ist für mich nun Wegweiser. Seine Hinweise haben meine alten verstaubten Hirnwindungen wieder an die Stelle geführt, wo meine Erlebnisse verlegt oder gespeichert sind. So läuft das Erlebte nun immer wieder wie ein Film vor meinen Augen ab, als wäre der Unfall und die anschliessende Rettung erst gestern passiert. So erkenne ich viele Menschen wieder, als ob sie vor mir stehen würden. Am 23. September 1962 war eine amerikanische Superconstellation (Typ G) der Fluggesellschaft „Flying Tigers" von Amerika nach Frankfurt unterwegs. Alle 74 Passagiere waren amerikanische Militärangehörige, junge Rekruten, Instruktoren, Piloten, ein Arzt sowie dessen Frau. Die zumeist jungen Männer waren als Fallschirmjäger in Panama ausgebildet worden und sollten nun in Deutschland für den Einsatz in Vietnam vorbereitet werden. Die „Flying Tigers" wurde von ehemaligen amerikanischen Kampfpiloten aus dem Koreakrieg gegründet. Sie kauften alte Transportmaschinen und gründeten eine Gesellschaft für den Gütertransport. Später kamen dann auch günstige Passagierflugzeuge dazu, die im Charterflug eingesetzt wurden. So waren am 23. September 1962 in Amerika zwei oder drei Maschinen Richtung Europa gestartet. Wie dann später berichtet wurde, setzte bei einer dieser Maschinen über dem Atlantik ein Motor aus. Dem wurde zunächst keine grössere Beachtung geschenkt, weil mit den drei restlichen Motoren sicher weitergeflogen werden konnte. Als dann aber unerwartet ein zweiter Motor aussetzte, war mit Rücksicht auf die bereits zurückgelegte Strecke eine Rückkehr gleich riskant wie der Weiterflug Richtung Europa. Als kurz darauf auch der dritte Motor aussetzte, konnte mit dem verbliebenen Motor die Höhe nicht mehr gehalten werden. Eine Notwasserung oder ein Absturz waren die Alternativen. Trotz hohem Wellengang gelang dem Piloten eine Notwasserung. Besonders erschwert wurde diese Operation, weil der noch laufende Motor aussen war. Das Flugzeug soll noch kurze Zeit auf der Wasseroberfläche getrieben haben, weshalb die meisten Insassen nach draussen in die Schlauchboote umsteigen konnten. Bei der Wasserung waren tragende Strukturen des Flugzeugs gebrochen und die Treibstofftanks ausgelaufen; Passagiere wurden mit Flugpetrol und Salzwasser getränkt. Dies geschah ca. 21:30 GMT Die Rettung erfolgte 7 Std. später. Montag, den 24. 09. 1962 - 01.30 Uhr Ortszeit. Sonntag, 23. 09. 1962 19.20 Uhr: Nach dem Nachtessen sassen wir zu viert und gut gelaunt im Mannschaftsraum beim Kartenspiel, als der 2. Maschinist, Van Koppenhagen Herbertus, zu uns in die Messe kam und uns über die Notwasserung eines amerikanischen Flugzeuges orientierte. Er befahl uns, das motorisierte Rettungsboot sofort startklar zu machen. Wir alle wussten, dass der Einsatz des Bootes sehr schwierig oder sogar unmöglich war, weil einerseits der Motor defekt, also unbrauchbar war und weil andererseits die See sehr rau und stürmisch war, mit Wellen von zehn bis 15 Meter Höhe. Nach der Orientierung begaben wir uns sofort mit dem nötigen Werkzeug, gegen Wind und Regen eingekleidet, nach draussen in das Rettungsboot. Starker Wind und Regen peitschte uns ins Gesicht. Obwohl uns bewusst war, dass der Motor nicht funktioniert, versuchten wir ihn mit allen Tricks zum Laufen zu bringen. Es war unmöglich. Kurz entschlossen bauten wir den Motor aus und brachten ihn nach unten in die Werkstatt des Maschinenraums. Der zurzeit verantwortliche 3 Maschinenoffizier Fritz Michel leitete die Aktion; er gab kurze Befehle und jeder wusste, was er zu tun hatte. Punkt Mitternacht war der Motor mit neuen Kolben, frischen Lagern und allem, was sonst noch dazu gehörte, versehen und wir bauten ihn wieder in das Boot ein. Um 01.30 Uhr Ortszeit, als wir zum ersten Mal, immer wieder für kurze Zeit, kleine Lichter am Horizont sahen, sprang der Motor beim ersten Startversuch an. In diesem Moment war das Geräusch des Dieselmotors so wunderbar und genussvoll wie für einen Musikliebhaber die Stimme Carusos. Nun begann der schwierigste Teil der Rettungsaktion. Wir waren ja mit voller Kraft auf die Unfallstellung zu gefahren und es galt das Schiff „Celerina" so zu bremsen, dass es nicht an der Unfallstelle vorbei. oder sogar überfuhr. Plötzlich sahen wir Steuerbord auf einem Wellenkamm ein rundes Schlauchboot, das dann sofort wieder im nächsten Wellental verschwand. Auch hörten wir die verzweifelten Schreie der Überlebenden. Mit grossem Geschick verstand es unser Elektriker Markus Janka auf dem Mastbaum, den Scheinwerfer immer auf das Schlauchboot zu richten. So konnte die Mannschaft auf der Brücke das Schlauchboot in einem grossen Bogen erneut anfahren. Unser Kapitän versuchte mit grossem Geschick unser Schiff so zu manövrieren, dass das Schlauchboot im Windschatten zu liegen kam. Dabei musste das Schiff praktisch ohne Fahrt sein und konnte entsprechend nicht mehr gesteuert werden. Da das Schiff zu schlingern begann wurde die Rettung umso Schwieriger, weil das kleine Boot einmal auf der Höhe des Decks warum dann einige Sekunden später unter dem Schiff zu verschwinden drohte. Der Schiffszimmermann Walter Wunderli wurde an eine lange Leine gebunden, deren anderes Ende auf dem Schiff befestigt war. Walter kletterte zusammen mit einem zweiten Matrosen, der ebenfalls gesichert war, und mit einer Rettungsleine über die Reling. Weitere Matrosen sicherten die beiden an den Seilen. Dem Schlauchboot wurde eine lange Leine zugeworfen. So konnte das Boot in unsere Nähe gehalten werden. Als das Boot durch eine Welle erneut auf der Höhe des Schiffsdecks gehoben wurde, sprang Walter ins Boot, landete auf den Leuten darin und schlang die mitgebrachte Rettungsleine um eine Person, die dann von den Matrosen auf Deck gezogen wurde. So wurden alle, eine nach der anderen an Bord geholt. Dies dauerte bis 03.00 Uhr. Andere Besatzungsmitglieder befreiten die so nach und nach an Bord gebrachten Personen von den Schwimmwesten und trugen sie in die Messe, wo sie getrocknet, massiert und fürs Erste mit warmem Tee versorgt wurden. Sie wechselten ihre Kleider mit denjenigen, die wir zur Verfügung stellten. Insgesamt 51 Personen wurden aus dem Boot geholt, das für 25 bestimmt war. Leider waren auch drei Tote darunter, eine zierliche, rothaarige Stewardess, wie sich später herausstellte, und zwei junge Männer, ein grosser Schwarzer und ein kleiner, hagerer Blonder. Dieser gab bei der Rettung noch ein Lebenszeichen von sich, doch alle Reanimationsversuche an Bord des Schiffes waren vergebens. Die Temperatur des Meerwassers betrug nur 7 Grad Celsius und die geretteten Personen waren im Schlauchboot wie Sardinen ineinander verkeilt, keiner konnte sich bewegen. Durch den hohen Wellengang wurde das Boot während sieben langen Stunden bis zur Rettung, immer wieder bewegt und die Körper rieben sich aneinander. Das mit Flugzeugtreibstoff versetzte salzige Seewasser trug das Seine bei. Einige Personen hatten grosse offene Wunden, andere Knochenbrüche und die meisten durch die Reibung der Körper bedingt, Brand- und Schürfwunden. Weil der erste Versuch des Steuermanns, das Schlauchboot in den Windschatten des Schiffs „Celerina" zu bringen, misslang, erzählten uns die Geretteten am Tag nach dem Unglück, sie hätten geglaubt, wir seien Russen und wollten sie ertrinken lassen. Deshalb hätte das Schiff wieder abgedreht und sei an ihnen vorbeigefahren. Nach dem alle mit frischen Kleidern versorgt und verpflegt waren, bezogen sie unsere Kabinen um sich von den Strapazen zu erholen. So machte ich eine Pause um dann um 04.00 Uhr den Dienst als Maschinenwache zu übernehmen. Nach Dienstende um 08.00 Uhr ging ich auf Deck um mir die frische Meeresbriese in den Kopf wehen zu lassen. Da sah ich viele Schiffe die sich an der Suche weiterer Überlebenden beteiligten. Darunter war auch der Flugzeugträger „Bonaventura". Von diesem kam dann ein Helikopter, er brachte Lebensmittel und flog die Schwerverletzten auf den Träger zurück ins Schiffshospital. Ich ging dann mit dem Bootsmann und einem Matrosen in den Aufenthaltsraum im Achterschiff wo man die drei toten hingebracht hatte. Diese haben wir in weisse Leinentücher eingewickelt und zugenäht. Mit dem letzten Helikopterflug wurden sie dann auf den Flugzeugträger geflogen und wir setzten die Fahrt fort in Richtung Südirland. Die anderen Schiffe setzten die Suche nach Überlebenden fort. Im Laufe des Tages hörten wir, dass ein anderes Schiff noch zwei Schlauchboote fand. Im einen waren nur Tote und das andere war leer. Unser Bordfunker Georg Stöckli forderte über Funk Medikamente an. Diese Funkmeldung wurde aber missverstanden. Wie wir dann nach der Ankunft in Antwerpen erfuhren, stand in den Medien „Das Schweizer Schiff „MS Celerina" stehe in Flammen. Am Mittwoch, den 26. September 1962 befanden wir uns an der südirischen Küste. Aus Cork kamen wiederum Helikopter der irischen Küstenwache. Sie brachten uns Medikamente, Verpflegung und flogen die Verletzten nach Cork ins Spital. Mit den geretteten haben wir uns täglich unterhalten und es schien, als würden neue Freundschaften entstehen. Alle wollten uns später, nach der Militärzeit einmal in Amerika als Gast empfangen. Doch daraus wurde in meinem Fall nie etwas. Ich habe nie wieder etwas von diesen Leuten gehört. Am Donnerstag, den 27. September 1962 durchfuhren wir den Ärmelkanal und anderntags, Freitag, den 28. September 1962 ging die Fahrt hinauf nach Antwerpen. Dort staunten wir nicht schlecht. Die Pier war voll von Leuten, ein riesiger Presserummel, Fotografen, Reporter und viele hoch dekorierte Militärs. So war auch der Blick-Reporter Carlo Frey und Walter Blickenstorfer vom Schweizer Fernsehen anwesend. Alle wollten Bilder von der Rettung. Uns wurden grosse Summen geboten für Bilder der Rettung. Alle wollten ein Bild von dem Augenblick wie die Geretteten an Bord geholt wurden. Sie konnten nicht verstehen, dass es so was nicht gab. Und wir konnten nicht verstehen, warum uns das Fotografieren an Bord verboten wurde. Am Abend waren wir dann im "Dock-Hotel" zu einem Empfang eingeladen. Da standen sie dann wieder voller Stolz in ihren neuen Uniformen. Der Bordfunker Georg Stöckli und ich haben dann zwei Tage später abgemustert und sind mit der Bahn nach Hause gefahren. Georg Schüpbach, 09. Februar 2003 Nachtrag: Einer der geretteten amerikanischen Fallschirmjäger hat ein Buch geschrieben und seine Version des Unfalls geschildert, wie er die Rettung erlebt hatte http://books.google.co.in/books?id=ThxoKSBlNzUC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=falsehttp://flyingtiger923.com/2011/11/26/going-down-with-ft923/ |