Der Schlüssel zum Ozean

von Walter Zürcher

Erste schweizerische Seeflagge vor 150 Jahren

    
"Das freie Meer befreit den Geist", heisst es im zweiten Teil von Goethes Faust, was dem schweizerischen Bundesstaat, der 1848 im monarchistischen Europa gegründet wurde, die Richtschnur gewesen sein mag, auch wenn die Schweizer Flagge zur See erst im Kriegsjahr 1941 – zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Landesversorgung – aus der Taufe gehoben wurde.

Ergoss sich der Hauptstrom von Schweizer Auswanderer im 19. Jahrhundert nach Le Havre, so ist es nicht überraschend, weisen die ersten Anhaltspunkte einer schweizerischen Seeflagge in diese französische Hafenstadt.

Im Mai 1850 orientiert Konsul Louis-Philippe de Luze aus New York den Bundesrat in Bern, ein Amerikaner namens James Funck konstruiere für den Paketservice zwischen New York und Le Havre ein grosses Schiff, wolle es "William Tell" nennen und die Schweizerflagge am Maste mitführen. De Luze bittet den Bundesrat "un beau Pavillon" zu fabrizieren, dieses nach Havre zu senden und dem Schiff bei Ankunft zu überreichen. Diesem Ansuchen stimmte der Bundesrat zu und beauftragte das Militärdepartement zur Anfertigung einer solchen Flagge. Nur sechs Tage später gelangte das Militärdepartement in einem Schreiben an Konsul F. Wanner in Le Havre mit der Bitte, die Form und Dimensionen einer solchen Flagge mitzuteilen. Im Antwortschreiben von Wanner, finden zum ersten Male die Masse einer Schweizer Flagge zur See Erwähnung.

Die Übergabe der seidenen und wollenen Flagge durch Wanner an Kapitän John Willard des "William Tell" erfolgte am 11.September 1850.

Nur wenig später im November, bittet Konsul de Luze einem weiteren noch im Bau befindlichen Schiff namens "Helvetia" des Amerikaners William Whitlock, eine Schweizerflagge darzureichen. Auch diesem Gesuch entspricht der Bundesrat.

Die staatsrechtliche Bedeutung und Stellung dieser Schweizerflaggen blieb undefiniert, hatte sich der Bundesrat über alle Fragen zur Anerkennung einer Schweizerflagge auf dem Meere hinweggesetzt. Der junge Bundesstaat befand sich im organisatorischen Aufbau, wobei sein begeisternder Optimismus, das rege Interesse an allen auftretenden Fragen und möglicherweise auch die freiheitlichen Traditionen der Schweiz ihn zu diesen Entscheiden beeinflussten.

Es ist jedoch belegt, dass sowohl die "William Tell" als auch die "Helvetia" stets die amerikanische Flagge am Heckmast führten, und die schweizerische Nationalflagge lediglich als Zierrat an einem Maste wehte.

In der Folge stiessen Flaggengesuche, Schiffe unter Schweizerflagge zu registrieren, auf Ablehnung der Bundesbehörden, zumal diplomatischer und juristischer Widerstand der Seemächte herrschte. Erst mit der Ungewissheit der zukünftigen Entwicklung der Seeschifffahrt bei Kriegsausbruch 1939, wurde die Einführung der Schweizer Flagge zur See für die Bundesbehörden wieder ein Thema.