Schiffsgeschichte
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Diesen Stückgutdampfer baute die Werft William Gray & Company Ltd. West Hartlepool an der Ostküste von England. Am 13.12.1951 lief der Dampfer unter dem Namen PAYSANDU für die Leado S.A. Montevideo, Uruguay, eine vermutlich von Suisse-Atlantique kontrollierte Firma, von Stapel. Am 07.03.1952 jedoch als ST. CERGUE für die Suisse-Atlantique Société de Navigation Maritime S.A. Lausanne in Betrieb genommen und in Bâle (Basel) unter Schweizer Flagge registriert (Offizielle Nr.: 42, Rufzeichen: HBFD). In 1956 mit gleichem Namen und ohne Flaggenwechsel zur Eigner Firma Helica S.A. Genf überschrieben. Die Besatzung von 32 Mann bestand ungefähr zur Hälfte aus Schweizern und zur Hälfte aus Italienern.

Die ST. CERGUE war ein Dampfer mit einer Dreifach-Expansions Kolbendampfmaschine, die zur Verbesserung des Wirkungsgrades und somit zur Verringerung des Brennstoffverbrauchs mit einer Bauer-Wach Abdampfturbine ausgerüstet war. Während des Manövrierens leitete man den Dampf mittels der Umschlagklappe direkt in den Kondensator, da eine Dampfturbine nicht rückwärtslaufen kann. Die Dampfmaschine hatte einen offenen Kurbeltrieb.

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Schema einer Bauer-Wach Abdampfturbine

Die Dampfkessel befanden sich platzsparend hoch oben (auf Englisch, Deck-Boiler genannt), daher auch das grosse und hohe Deckshaus hinter dem Schornstein.

Die ST. CERGUE war in der weltweiten Trampfahrt eingesetzt und fuhr gemäss den Voyage Cards schon im ersten Jahr nach Australien, über Honolulu nach Vancouver, dann Argentinien, Westindien und Südafrika. Jeweils im August (1955, 1956, 1957 und 1959) machte sie insgesamt 4 Reisen nach Igarka in Sibirien um Schnittholz zu laden und nach Westeuropa zu bringen. 

Auf einer Reise von Murmansk nach Brunsbüttelkoog, BRD unter Führung des Schweizer Kapitäns Jacques Voirol lief der Frachter am Montag, 31.10.1955 bei der Insel Uttorgflesa (zwischen den Lofoten und Trondheim in Norwegen) auf felsigen Grund. Der Unfall ereignete sich nach dem Mittagessen bei starkem Schneegestöber, obwohl der Maschinentelegraph auf langsame Fahrt gestellt war und ein Lotse an Bord mitfuhr. Mit dem Vorsteven lag das Schiff auf den Felsen und machte Wasser in der Vorpiek, im Ballasttank und im Laderaum Nr. 1. Wir müssen noch erwähnen, dass zu jener Zeit wohl kaum ein Radargerät installiert war.

Gegen Mitternacht erreicht der Bergungsschlepper PARAT den Dampfer und die ersten Abschleppversuche beginnen, aber ohne Erfolg. Am Nachmittag inspiziert der Taucher vom Schlepper das Vorschiff, der Rumpf ist arg zerbeult und es scheint, dass das Wasser durch die zahlreichen leck gesprungenen Nieten eindringt.

Spät abends des 01.11.1955 erscheint der zweite Schlepper SALVAGE und wieder ein Tag später kommt der dritte Schlepper, die DRAUGEN. In der Zwischenzeit hat die Mannschaft zusammen mit den Bergungsmannschaften begonnen Ladung über Bord zu werfen. Aus dem Grounding Report geht nicht hervor, was für Ladung an Bord war, aber es muss Getreide oder anders Schüttgut gewesen sein, denn im Bericht steht, Fässer und ein Greifer von einem der Schlepper wären im Einsatz gewesen. Ganz wichtig noch zu erwähnen, am zweiten Tag kam der Zoll aus Brömöysund angefahren, um den „Bonded Store“ zu versiegeln.

Endlich am vierten Tag, Donnerstag 03.11.1955 gelang es den drei Schleppern mit vereinten Kräften den Dampfer freizuschleppen. Die ST. CERGUE verholte nach Berg-i-Helgeland und ging abends dort vor Anker. Nach einigen Notreparaturen konnte der Dampfer seine Reise fortsetzen und permanente Reparaturen wurden im Dock in Emden ausgeführt (siehe auch beigefügter Grounding Report und die Fotos).

Am 28.04.1956 verliess die ST. CERGUE Nordenham, BRD in Ballast um nach Montreal zu segeln. Diese Fahrt über den Nordatlantik mit Kapitän Jacques Voirol wurde eine richtige Sturmfahrt die den Dampfer kräftig durchschüttelte. Der Kapitän deponierte vor dem Gericht in Montreal ein Manifest um sich gegen allfällige Schäden am Schiff schadlos zu halten. Der Vorfall ist auch auf der entsprechenden Voyage Card eingetragen (siehe auch beigefügtes Manifest).

Am 12.09.1960 an Bharat Line Ltd. Bombay veräussert und in Bombay an die Käufer übergeben. In BHARATJAL umbenannt und unter indischer Flagge in Bombay registriert (Offizielle Nr.: 1021, Rufzeichen VWQC). In der Fachpresse wurde von einem Verkaufserlös von 260'000.- GBP berichtet. Nach 13 Jahren unter indischer Flagge wurde das Schiff im zweiten Quartal 1973 in Bombay verschrottet.

Quelle:  

- Kapt. Jacques Voirol
- Georges Haller, LR-Surveyor
- LR-Voyage Cards

SwissShips HPS, MB, Mai 2021

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Zusätzliche Informationen und Geschichten

IGARKA, SIBIRIEN

Die ST. CERGUE fuhr schon in den Jahren 1955 bis 1959 nach Igarka, jeweils im Monat August, September, wenn der Fluss Jenissei eisfrei ist. Igarka liegt ungefähr 360 Seemeilen flussaufwärts, das ist fast zweimal die Distanz als auf dem besser bekannten Mississippi nach Baton Rouge.  Auch die NYON fuhr mehrere Male nach Igarka. Zu jener Zeit, der Diktator Joseph Stalin starb im März 1953, herrschte im Moskauer Kreml noch Eiszeit und die Welt war aufgeteilt in Ost und West. Niemand, besonders keine Touristen konnten Sibirien besuchen, die Wenigen die normalerweise Sibirien kennen lernten, waren deutsche Kriegsgefangene und politische Häftlinge.

Karte Igarka

Igarka, am Jenissei gelegen

Igarka-Yenisei

Igarka, am Jenissei gelegen

Igarka, eine erst 1929 gegründete Siedlung mit ungefähr 15'000 Einwohnern besass Sägewerke und einen kleinen Hafen um Hochseeschiffe mit Schnittholz für den Export zu beladen. Stalin liess von Zwangsarbeitern die „Polarkreiseisenbahn“ bauen, die im Osten in Igarka endete. Diese Eisenbahn wurde nie fertig gebaut und ist heute nur auf Teilstrecken in Betrieb. Sogar ein Marinestützpunkt war in Igarka geplant, aber beide Projekte wurden nach Stalins Tod gestoppt. Von 1975 bis 1980 erlebte Igarka seine Glanzzeit, ungefähr 1'200'000 m3 Holz pro Jahr gingen in den Export und war somit der zweitgrösste Holzhafen der Sowjetunion. Ein kleiner Flugplatz, auf einer Insel gelegen, bietet Flugverbindungen nach Krasnojarsk, Norilsk und Surgut. Somit kann man wohl sagen, dass diese Reisen eines ausländischen Frachters nach Igarka zu jener Zeit etwas Besonders darstellten.

Kapitän Jacques Voirol machte die Reise im August 1956, zusammen mit seinem ersten Offizier Alfred Leibundgut, um Schnittholz für Antwerpen zu laden (siehe auch den angefügten Zeitungsbericht). Bei Murmansk brachte ein Boot sowjetische Seekarten, auf der Rückreise mussten diese Karten wieder in Murmansk abgegeben werden. Zu jener Zeit waren diese Seekarten noch hochgeheim und durften nicht in den „bösen“ Westen gebracht werden.

Z B Igarka Reise nach Antwerpen

Zeitungsbericht über die Igarka Reise aus dem Archiv von Kapitän J. Voirol

Zu jener Zeit waren Wassertiefen auf den hauptsächlich britischen Seekarten (Admiralty charts), aber auch in anderen westlichen Karten in Faden (englisch: fathom) und Fuss angegeben.

1 Faden   =   6 Fuss   =   1,8288 m (oder etwa 1/1000 Seemeile)

Dieser Umstand ist den Nautikern auf der ST. CERGUE anfänglich nicht aufgefallen und hätte fast dazu geführt, dass der Dampfer auf Grund gelaufen wäre. Mit diesen ungewohnten Angaben in Metern war die Wassertiefe natürlich fast um die Hälfte weniger und es hätte ins Auge gehen können. Auf der Flussfahrt waren dann Lotsen an Bord. Einen Erlebnisbericht von Emil Gremaud über Igarka haben wir bei der ersten NYON aufgeschaltet, dieses Schiff war auch dreimal in diesem Hafen.

SwissShips, HPS im Mai 2021